Die europäische Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) fordert eine biologische Bewertung der
Fliessgewässer anhand der Qualitätskomponente Phytoplankton. Der sehr gute Zustand (Fließ-
gewässer) wird im Anhang V Absatz 1.2.1 in der EU-WRRL folgendermaßen beschrieben:
- Phytoplankton: Die taxonomische Zusammensetzung des Phytoplanktons entspricht
vollständig oder nahezu vollständig den Bedingungen bei Abwesenheit störender
Einflüsse.
- Die durchschnittliche Abundanz des Phytoplanktons entspricht voll und ganz den
typenspezifischen physikalisch-chemischen Bedingungen und ist nicht so beschaffen,
dass dadurch die typenspezifischen Bedingungen für die Sichttiefe signifikant verändert
werden.
- Planktonblüten treten mit einer Häufigkeit und Intensität auf, die den typenspezifischen
physikalisch-chemischen Bedingungen entspricht.
Im Auftrag der LAWA wurde von NIXDORF u.a. (2000) eine „Literaturstudie über vorhandene
Klassifizierungs- und Bewertungsverfahren sowie Ansätze für den Merkmalskomplex
Phytoplankton bei Fließgewässern und Seen einschließlich einer kritischer Wertung bezüglich
ihrer Anwendbarkeit entsprechend der Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie“
erarbeitet.
Teil II der Studie beinhaltet eine Analyse bezüglich vorhandener Klassifizierungsverfahren für
Fließgewässer anhand des Phytoplanktons. Die Auswertung von über 100 Literaturzitaten ergab,
das keine für Fließgewässer typische Indikatorarten bzw. Artengruppen gefunden wurden und
keine Bewertungsverfahren zur Ermittlung der Gewässergüte von Fließgewässern auf der Basis
des Phytoplanktons existieren. Zugleich wird von den Autoren der Literaturstudie darauf
orientiert, dass ein Bewertungssystem für den Merkmalskomplex Phytoplankton in
Fliessgewässern auf der Basis folgender Parameter beruhen sollte:
- Taxonomische Zusammensetzung und Biovolumen (anstelle „Abundanz“),
- Gesamtphosphorkonzentration als Steuerfaktor bzw. Limitationsfaktor der Primär-
produktion in planktondominierten Flüssen,
- Sichttiefe bzw. weitere optische Parameter zur Trophieeinschätzung und Steuerung der
Primärproduktion,
- Fließgewässerspezifische, hydrologische Einflussfaktoren (s. z.B. KÖHLER 2002).
Die bereits existierenden Verfahren zur Klassifizierung der Trophie von planktondominierten
Fließgewässern (BEHRENDT & OPITZ, 1996, HAMM, 1996, MAUCH u.a. 1998, LAWA 2002) bieten
bereits gute Ansätze für ein Klassifikations- und Bewertungsverfahren anhand der Trophie-
parameter, sie sind jedoch um die Kernvariable Phytoplanktonbiovolumen und taxonomische
Zusammensetzung zu erweitern und müssen gesondert für die verschiedenen Gewässertypen
definiert werden. Taxonomisch differenzierte Phytoplanktondaten wurden besonders in den
letzten 5 Jahren in manchen Flussgebieten Deutschlands neu erhoben (Oder: KASTEN 1999, Elbe:
KARRASCH u.a. 2001, Spree: KÖHLER u.a. 2002b). POHLMANN & FRIEDRICH (2001) stellen
zudem eine geeignete Methode zur Bestimmung der Phytoplanktonbiovolumina vor, die bei
verbreiteter Anwendung zu einem deutlich verbesserten Datenbestand führen wird. Es wird eine Typisierung aller Gewässer durch die EU-Wasserrahmenrichtlinie gefordert, die die
Grundlage einer (gewässer-)typspezifischen biologischen Bewertung ist. Bei der Entwicklung
eines biologischen Bewertungsverfahren entsteht mit der „Typisierung“ eine zusätzliche
Aufgabe, wenn die Typisierung der Untersuchungsgewässer nicht vorab nach einem top-down-
Prinzip erfolgte.
Zur Typisierung existieren vielfältige Entwürfe aus ehemaligen Studien in den Bundesländern
und werden zudem in den einzelnen, zumeist regionalspezifischen biologischen Projekten
entworfen. Die zukünftige Zusammenführung aller Bewertungsverfahren, die jedoch auf der
Basis unterschiedlicher Typisierungsentwürfe basieren, ist aber in jedem Fall vor dem Termin
der ersten Berichtspflicht an die EU erforderlich, und wird eine große Herausforderung für die
Verantwortlichen sein.
Um der Vielfalt der Typisierungsvorschläge nicht noch einen weiteren hinzuzufügen, wurden in
dem vorliegenden Projekt die top-down-Typisierungsvorschläge für Fließgewässer nach
SCHMEDTJE u.a. (2001) und für stehende Gewässer nach MATHES u.a. (2002) benutzt, um die
Untersuchungsgewässer vorab zu typisieren. Beide Entwürfe wurden in den verschiedenen
Arbeitsgruppen der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) vorgestellt und können
deutschlandweit angewendet werden.
Die Flussseen werden nach dem Vorschlag der LAWA (MATHES u.a. 2002) von den Fließ-
gewässern abgegrenzt und zu den natürlichen, stehenden Gewässern gerechnet, wenn ihre
mittlere sommerliche Verweilzeit (Mai bis Oktober) mehr als 3 Tage beträgt. Die Flussseen
erscheinen in den Seentypen Deutschlands unter kalkreichen, ungeschichteten Seen mit einem
großem Einzugsgebiet und mit einer mittleren sommerlichen Verweilzeit von 3-30 Tagen nur in
der Ökoregion Tiefland (MATHES u.a. 2002).
In dem vorliegenden Bericht wird sowohl ein Konzept zur Bewertung für die Fließgewässer als
auch für die Flussseen im Berliner und Brandenburger Raum entwickelt, da Fluss-Seen-Systeme
ein besonderes und typisches Charakteristikum des regionalen Landschaftsraumes darstellen. Die
durch die EU-WRRL geforderten Bewertungssysteme der Oberflächengewässertypen „stehende
Gewässer“ und „Fließgewässer“ finden im Gewässertyp „Flussseen“ einen Verknüpfungspunkt,
der es erforderlich macht, beide Bewertungssysteme zumindest hinsichtlich der trophie-
anzeigenden Organismengruppen Phytoplankton, Phytobenthos und Makrophyten durchgängig
zu entwickeln, d.h. Kenngrößen und Klassengrenzen abzustimmen.
Im Regionalraum Berlin gibt es nur wenige „echte“ Fließgewässer, die vorläufig nach dem
Typisierungsentwurf von SCHMEDTJE u.a. (2001, Tab.2) typisiert wurden. Abgeleitet aus
empirischen Beobachtungen und theoretischen Überlegungen wird eine allgemeine Definition
von planktondominierten Fließgewässern in dem vorliegenden Bericht vorgestellt. Ihre
Anwendung auf den Typisierungsentwurf von SCHMEDTJE u.a. (2001) legt die Zusammenlegung
vieler Gewässertypen von Bächen und kleinen Flüssen in eine Gruppe „nicht planktondominierte
Fließgewässer“ nahe, für die eine Bewertung anhand des Phytoplanktons nicht sinnvoll
erscheint. Auf der anderen Seite lässt der Typisierungsentwurf nach SCHMEDTJE u.a. (2001) nur eine
geringe Differenzierung der großen Flüsse und Ströme in Tiefland zu. Für diesen Gewässertyp
wird eine weitere Unterteilungen anhand hydrologischer Kenngrößen empfohlen. Der von BEHRENDT & OPITZ (1996) entwickelte Klassifikationsansatz für Flussseen und rückgestaute Fliessgewässer berücksichtigt hinsichtlich seiner Parameter die Anforderungen der EU-WRRL an ein Bewertungssystem bereits weitgehend. Er kann somit als eine Basis für die
Weiterentwicklung zu einem den Anforderungen der EU-WRRL konformen Bewertungssystem für planktonführende Fliessgewässer genutzt werden. Um diese Basis in ein Bewertungssystem,
das den Anforderungen der EU-WRRL genügt, auszubauen, sind jedoch noch folgende wissen-
schaftlichen Aufgaben zu lösen:
- Übertragung des abgeleiteten Zusammenhanges zwischen den Biomasseäquivalenten
Trockenmasse bzw. Chlorophyll_a und der Gesamtphosphorkonzentration auf das
Biovolumen des Phytoplanktons bei Beibehaltung und Erweiterung der taxonomischen
Differenzierung des Phytoplanktons zumindest auf der Ebene von taxonomischen
Gruppen.
- Berücksichtigung von nichtalgenbürtigen gelösten und partikulären Faktoren hinsichtlich
ihres Einflusses auf das Unterwasserlichtregime und die Phytoplanktonentwicklung.
- Berücksichtigung möglicher Verdünnungseffekte bzw. von Verlustprozessen bei der
Ableitung des Zusammenhanges zwischen der Algenbiomasse und der Gesamtphosphor-
konzentration für Fliessgewässer (Modellberechnungen).
- Transformation des bisherigen Klassifikationsansatzes in ein den Kriterien der EU-
WRRL entsprechendes Bewertungsverfahren, das ausgehend von einem Referenzzustand
(sehr guter Zustand nach EU-WRRL) die Bereiche für den guten ökologischen Zustand
und 3 weitere Degradationsstufen definiert, bzw. für stark anthropogen geprägte
Fließgewässer die Ableitung eines maximalen ökologischen Potenzials bezüglich des
Phytoplanktons erlaubt.
Der Gesamtumfang dieser Aufgaben wird im Rahmen eines Forschungsprojektes bearbeitet, dass
seitens der LAWA gefördert werden soll (ab April 2003 geplant) und in dem ebenfalls die
entsprechenden Spezialisten für die Analyse des Phytoplanktons in den planktondominierten
freifließenden und rückgestauten Flüssen Deutschlands mitwirken.
Im Rahmen der vorliegenden Studie wird für die entsprechenden Berliner und Brandenburger
Gewässer die Möglichkeit der obigen Erweiterungen des Klassifikationsansatzes von BEHRENDT
& OPITZ (1996), insbesondere hinsichtlich der Anwendung auf das gesamte Biovolumen des
Phytoplanktons und auf das Biovolumen der taxonomischen Gruppen, geprüft. Es wird ein
Konzept vorgestellt, das den bisherigen Klassifikationsansatz in ein Bewertungsverfahren für
planktondominierte Fließgewässer entsprechend der EU-WRRL und vorhandener Kenntnisse
über den Referenzzustand (siehe u.a. SCHÖNFELDER, 2000; BEHRENDT u.a. 1999) einbezieht. Die
vorliegende Arbeit ist aber keine Literaturstudie zu diesem Thema.
Das zu entwickelnde Bewertungsverfahren sollte sich zwar vorwiegend an dem Biovolumen des
gesamten Phytoplanktons und der Algengruppen orientieren, jedoch auch Kenngrößen anderer
Biomasseäquivalente und der Sichttiefe einschließen und den Zusammenhang zu den
limitierenden Nährstoffen (vorwiegend Phosphor, TP) beibehalten.
Der TP stellt eine elementare Hilfsgröße zur Rekonstruktion von solchen Fließgewässertypen
dar, für die keine anthropogen unbeeinflusste oder gering beeinflusste Gewässerabschnitte in der
Ökoregion und dem Gewässertyp vorhanden sind. Für diese Fließgewässertypen besteht die
Möglichkeit zur Rekonstruktion der Phytoplanktongesellschaft hinsichtlich der Metrics
„Gesamtbiovolumen“ und „taxonomische Zusammensetzung auf der Ebene der Algenklassen“
anhand der geogenen Hintergrundskonzentration an TP.
Es wird die Entwicklung eines multimetrischen Index zur ökologischen Bewertung von
Fließgewässern anhand des Phytoplanktons angestrebt. Es soll ein Gesamtindex aus mindestens
8 verschiedenen Einzelindexen gebildet werden, welche durch geeignete Metrics (biozönotische Kenngrößen, s. RAWER-JOST & BÖHMER, 2002) die Degradationen abweichend von einem
Referenzzustand innerhalb der Gewässertypen abbilden. Aufgrund der Schwierigkeit
allochthones Plankton vom Potamoplankton besonders bei Stauhaltungen oder in See-Fluss-
Systemen zu unterscheiden (s. Nixdorf u.a. 2000), wird die Zusammensetzung nicht auf Art-
Ebene analysiert.
Die Datenrecherche für die Gewässertypen „Flusssee“ und „Fließgewässer“ nach Typ 20 (nach
SCHMEDTJE u.a. 2001) ist mit der vorliegenden Studie bei weitem nicht abgeschlossen. Sie soll in
dem für das Jahr 2003 geplanten LAWA-Projekt erweitert werden. Mit Hilfe des erweiterten
Datensatzes wird die hier vorgestellte Klassifizierung überprüft werden müssen. FG-Abschnitt auch
denen aus dem Einzugsgebiet.
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